23. Oktober 2020

Bauausführung muss bei Abnahme den anerkannten Regeln der Technik entsprechen!

Von Nikolai Dressler – Gerichtsurteile Immobilienrecht Bauvertragsrecht

1) Der Auftragnehmer sichert üblicherweise stillschweigend bei Vertragsschluss zu, dass das Werk zum Zeitpunkt der Fertigstellung und Abnahme diejenigen Qualitäts- und Komfortstandards erfüllt, die auch vergleichbare andere zeitgleich fertig gestellte und abgenommene Bauwerke erfüllen.
2) Der Auftragnehmer schuldet zum Zeitpunkt der Abnahme ein Bauwerk, das der vereinbarten Beschaffenheit und den anerkannten Regeln der Technik entspricht; dies gilt regelmäßig auch bei deren Änderung zwischen Vertragsschluss und Abnahme.
3) Ein Zurückbleiben der Bauausführung hinter den anerkannten Regeln der Technik ist nur dann vertragsgerecht, wenn die Parteien eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben. Dies setzt jedoch voraus, dass der Auftragnehmer den Auftraggeber auf die mit der Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik verbundenen Konsequenzen und Risiken hingewiesen hat.
4) Der Auftragnehmer kann die Ausführung der Leistung vor der Abnahme wegen Unverhältnismäßigkeit verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Auftraggebers steht. Die Unverhältnismäßigkeit muss dabei ein unmöglichkeitsähnliches Ausmaß erreicht haben und so eklatant sein, dass das Verlangen nach Naturalerfüllung als sinnlos und rechtsmissbräuchlich erscheint.

OLG Koblenz, Urteil vom 31.05.2019 - 6 U 1075/18; BGH, Beschluss vom 15.04.2020 - VII ZR 152/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Sachverhalt

Der Auftragnehmer wurde u.a. mit Dachdeckerarbeiten am Neubau eines Seniorenzentrums beauftragt, wobei für eine Dachfläche auch ein Unterdach herzustellen war. Der Auftragnehmer errichtete ein Dach mit einem regensicheren Unterdach (Klasse 3) und schloss seine Arbeiten im November 2012 ab, wobei das Unterdach zu dieser Zeit noch dem Regelwerk des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks entsprach. Im Dezember 2012 wurde das Regelwerk diesbezüglich verschärft, gemäß der Neuregelung hätte ein wasserdichtes Unterdach (Klasse 1) hergestellt werden müssen. Der Auftraggeber verweigerte die Abnahme und stützt sich darauf, dass die Dacheindeckung nicht abnahmereif ist, da allein ein regensicheres Unterdach und kein wasserdichtes Unterdach errichtet wurde. Der Auftragnehmer klagte seinen Restwerklohn in Höhe von knapp € 75.000,00 ein.

Entscheidung

Das OLG Koblenz wies die Klage des Auftragnehmers auf Restwerklohnzahlung ab. Eine Werklohnzahlung ist mangels erfolgter Abnahme und bestehender Abnahmereife nicht fällig.

Der Auftragnehmer schuldet zum Zeitpunkt der Abnahme insbesondere ein Bauwerk, welches den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Dies wird üblicherweise bei Vertragsschluss vom Auftragnehmer stillschweigend zugesichert. Dabei können sich sowohl die Anforderungen, was als anerkannte Regeln der Technik gilt, zwischen Vertragsschluss und Abnahme ändern, als auch bei nicht erfolgter Abnahme auf die Regeln der Technik im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sein.

Es wird vermutet, dass ein kodifiziertes Regelwerk wie das des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks die anerkannten Regeln der Technik darstellen und mithin maßgeblich sind, sofern keine eindeutige abweichende Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen wurde und der Auftragnehmer auf dadurch entstehende Konsequenzen der Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik hingewiesen hat.

Mit Verweigerung der Abnahme durch den Auftraggeber galten die späteren Anforderungen des geänderten Regelwerkes mit Stand vom Dezember 2012, wonach das von Auftragnehmer errichtete regensichere Unterdach der Klasse 3 nicht mehr den anerkannten Regeln der Technik entsprach, sondern ein wasserdichtes Unterdach der Klasse 1 erforderlich war. Das errichtete Unterdach der Klasse 3 stellt auch einen wesentlichen Mangel dar, der einer Abnahmereife entgegensteht, sodass die Werklohnforderung nicht fällig war. Die anerkannten Regeln der Technik sind nach der Verkehrsauffassung von maßgeblicher Bedeutung, gerade wenn hier die Dichtigkeit eines Dachs gegen eindringendes Wasser für den Erhalt der Bausubstanz und den Wohnkomfort objektiv von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Auch steht dem Auftragnehmer nicht das Recht zu, eine den anerkannten Regeln der Technik entsprechende Ausführung der Leistung als unverhältnismäßig zu verweigern. Die Schwelle zu einem unmöglichkeitsähnlichem Ausmaß wurde nicht überschritten, zumal objektiv ein berechtigtes Interesse an einer ordnungsgemäßen Erfüllung hinsichtlich des Schutzes vor eindringendem Wasser besteht und ohne Mangelbeseitigung das Risiko eines Schadenseintrittes vorhanden ist.

Praxishinweis

Nach dem Urteil des OLG Koblenz ist es von erheblicher Bedeutung die jeweils bei Abnahme aktuell als anerkannt geltenden Regeln der Technik zu kennen und deren Fortentwicklungen nach dem Vertragsschluss aufmerksam zu verfolgen. Dies gilt sowohl für den Auftragnehmer hinsichtlich der Anforderungen an die von ihm zu erbringende Leistung für eine Abnahme, als auch für den Auftraggeber um eine zum Zeitpunkt der Abnahme nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprechende Leistung zu erkennen, sodass eine fehlende Abnahmereife und nicht eintretende Fälligkeit des Werklohnes geltend gemacht werden kann.

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